Patty Griffin – Living with Ghosts (1996)

„Leben mit Geistern“ ist das mittlerweile 15 Jahre alte Debütalbum der amerikanischen Sängerin Patty Griffin. Gänsehaut: Eigenwillig, akustisch, unsingbar gesungen und zutiefst beeindruckend.

Patty Griffin ist die eigenwillige Liedermacherin mit der ganz besonderen Altstimme. Sie überzeugte mit ihrem Demo zu diesem Erstling einen findigen A&R Manager, der ihr sofort einen Plattenvertrag bei A&M verschaffte und das Album unverändert auf den Markt brachte – nur Stimme und Gesang, Gitarre und eigene Begleitung. Heraus kommt ein eigenwilliges, sehr ausdrucksstarkes Album mit viel Substanz. Griffin hat eine erwachsene, nicht wirklich schön klingende Altstimme und zieht beim Singen alle Register, was ihre Interpretationen einerseits sehr ausdrucksvoll macht und andererseits weit von jedem Schönklang und Hitparadengesang entfernt ist. Sie raunt, flüstert, kreischt – das klingt etwas nach den wilderen Interpretationen von Rickie Lee Jones oder Tori Amos.

Die ausnahmslos selbst geschriebenen Songs sind aufregend im besten Sinne. „Let Him Fly“ wurde mit großem Erfolg von den Dixie Chicks gecovert und ist ein unglaublich interessanter Trennungs-Song (und großes Drama). „You Never Get What You Want“ oder „Poor Man’s House“ befassen sich mit ebenso ernsten Themen. Es wird selten heiter, nie kitschig und auch die Texte, erst recht die einschneidenden Interpretationen von Patty Griffin erreichen die tiefsten Tiefen des musikalischen Ausdrucks. Hitparadentauglich ist dieses Album natürlich nicht, Country ist es auch nicht und passt in keine Schublade. Und gerade deshalb wird man es (wer solche schwerblütigen Interpretationen hören mag) wie etwa „Blood On The Tracks“ von Bob Dylan vermutlich noch in 20 Jahren hören.

Franz-Josef Degenhardt

Gestern ist mit FJD einer der großen deutschen Liedermacher der 68er Generation gestorben. Groß geworden mit der Protestbewegung der der 60er Jahre. Gehört von meinen Eltern und vielen ihrer Altersgenossen. Angefeindet wegen seiner „strammen“ politischen Haltung und seiner drastischen Texte.

Er hat mit dem Song- und Buchtitel „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ ein neues Wort gefunden und mit vielen anderen drastischen, derben und eingängigen Texten und sprachlichen Bildern immer wieder unsentimental und direkt Dinge auf den Punkt gebracht. Sein Lied von P.T. dem Apachen beispielsweise – ein Thema, eingängige sprachliche Bilder, viel Witz – als ich das mit etwa 6 Jahren das erste Mal hörte, konnte ich immer wieder über die reparierten Betten, die missglückte Durchsuchung des Puffs und die geglückte Flucht schmunzeln. Und die rote Rita beschäftigte den kleinen Jungen natürlich auch immer wieder. Comics mit Tiefe.

Ebenso direkt und zart konnte FJD aber auch über die alten Paare auf den Bänken singen. Derber und praller als der ihm durchaus verwandte andere deutsche Chansonnier Reinhard Mey (mit dem er musikalisch sehr viel gemeinsam hatte) oder der DKP-Genosse Hannes Wader, aber eben auf seine Art:

Niemand wird behaupten, er habe täglich FJD gehört. Und niemand wird behaupten, dieser Liedermacher habe ihn oder sie gleichgültig gelassen oder sei uninteressant. Mehr kann sich ein Künstler kaum wünschen.

RIP, Franz-Josef.

Joni Mitchell's Blue in Gold

Ein guter Freund hat mir das Album von Joni Mitchell „Blue“ (1971) geschenkt. Aber die ultimative, die Gold-CD – direkt abgenommen vom Masterband, das der damalige Toningenieur1 schon als gelungene Aufnahme aus der frühen Transistor-Ära bezeichnete. Recht hatte er.

Wie großartig die Musik ist, wusste ich schon immer und habe das schon mal bei Amazon.de beschrieben. Aber was für ein perfekter Sound. Ich habe dieses Album zig mal gehört, von der griechischen Strandtaverne (vom Cassettenrekorder) über Vinyl (mit und ohne Hifi) bis hin zur „normalen“ CD von meiner Anlage. Es hörte sich immer gut, ausgewogen und musikalisch an, selbst die teilweise fledermausartig hohen Gesänge Joni’s. Warm klingende (!) Stahlsaiten, der harte Anschlag des Dulcimer, harmonische Bässe, das dumpfe Plockern der Percussions – „All I Want“, der Opener ist musikalisch und aufnahmetechnisch kaum zu übertreffen. Und die nicht wenigen Menschen, welche Mitchell’s Stimme gerade auf diesem Album unangenehm finden, sollen sich einfach von einem guten Freund diese Pressung schenken lassen oder das alte Vinyl aus dem Schrank holen. Gute Freunde muss man haben 🙂

[rating:5] DR = 11

Und wer sich fragen sollte, was ein Dulcimer ist, sieht das hier: Carey ist der dritte Titel von diesem Ausnahmealbum.


  1. Steve Hoffman 

Bestmögliche Begleitung trifft Langsamkeit

Dies ist mit Sicherheit ein schönes Stück Musik schon wegen der grandiosen Begleitung. Als Folksongs begeistern mich die Interpretationen von Gillian Welch

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jedoch nicht.

Hoch gelobt in der Presse reißt mich bei diesem Album eigentlich nur das perfekte Zusammenspiel von akustischer Gitarrenbegleitung und Gesang vom Hocker. David Rawlings begleitet so unaufgeregt, seine Tempi sind so fließend und seine Übergänge so Weiterlesen

The Roches – Nurds (1979)

Drei wunderbar singende Nervensägen
Mit ihrem zweiten Album [amazonjs asin=B000002KLO] Nurds reihen sich die drei singenden Schwestern 1979 in den Zeitgeist der feministisch, manchmal auch schräg singenden Gruppen dieser Zeit ein. Wilde Wechsel zwischen betörendem Schön-Gesang und schrägen Dissonanzen und die humorvollen, manchmal bitteren Texte lassen durchweg Spaß und Freude beim Hören aufkommen. Da geht es um die „Nurds“ ebenso wie um „Boat People“ und die „Feminine Position“ – immer mit einem leichten Grinsen und sehr kunstvoll gesungen.
Da die Drei exzellente Harmonie-Sängerinnen sind und interessante Stimmen haben, das Album sehr abwechslungsreich ist machen diese Songs auch heute noch viel Freude.

Das Album ist übrigens auch gut aufgenommen. Ein DR = 14 spricht für sich und den vorsichtigen Umgang mit Kompression.

[rating:4]

Cowboy Junkies – The Trinity Sessions

Velvet Under Ground in der Kirche – Trance-Folk mit Sound und Charme
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Die kanadischen Cowboy Junkies verfolgten mit diesem radikalen Sound (eine Band, eine Kirche, ein Take) und der faszinierenden, immer etwas gelangweilt klingenden Stimme der Sängerin Margo Timmins ein radikales Konzept: Eigene und fremde Kompositionen in Zeitlupe, mit ganz einfachen Arrangements und viel natürlichem Hall. Und das 1987, als die Synthis und Sampler um die Wette knallten.

Das klingt faszinierend nach den frühen Velvet Underground und deren Album „VU“, ohne desse radikale Härte und Schärfe. Manchmal klingt es aber auch etwas schlafmützig. Sehr eigene interessante Interpretationen von Traditionals (der gänsehauterzeugende Opener), Elvis „Blue Moon“ eigenwillig in Slowest-Motion, Hank Williams „I’m So Lonesome“ ohne künstlichen Schmalz und Lou Reed „Sweet Jane“ ohne dessen Arroganz – große Klasse.

Und dieser Sound ist einmalig: Natürlich der Hall, leise die Instrumente deutlich der Raum und faszinierend rauchig die Stimme – ich liebe solche Aufnahmen ohne Schmu und Effektgeräte. Die durchaus hörbaren Längen einiger Stücke verhindern den 5. Stern nur knapp.
[Rating: 4]

Paradise And Lunch – 30 Jahre alt und richtig perfekt

Überragendes Frühwerk des Musikforschers und Gitarristen Ry Cooder,

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[Rating:5]

Ein Meilensteinalbum des großen Ry Cooder: Die Auswahl der (fremden-) Songs ist wie immer exotisch und sehr abwechslungsreich. Zwei überragend perfekt und lebendig eingespielte Traditionals (der Eisenbahn-Song „Tamp Em Up Solid“ und das gospelig-vertrackte „Jesus On The Mainline“) wechseln sich ab mit virtuosen und seelenvoll interpretierten Coverversionen, wie dem verspielten Reggae „It’s All Over Now“ von Womack/Womack.

Instrumental und musikalisch absolut brilliant: Fette Bässe (Produzent Russ Titelman spielte einen sehr groovigen E-Bass ein) auch von Bläsern (Tuba kommt gut bei Tänzen!), treibende Drums von Jim Keltner und Milt Holland und eine abwechslungsreiche, energische und im Gegensatz zu heutigen Produktionen Cooders ultra-präzise Gitarre.

Ein perfekt ausgewogenes und sehr transparentes Klangbild (Tonmeister Lee Herschberg) stellt jedes Instrument gleichwertig in den Raum. Und wie die gut aufgelegten Sänger um Bobby King und Russ Titelman den Songs Gospel- und Soul-Feeling mit auf den Weg geben – das ist eine Produktion, die auch heute noch frisch und absolut modern klingt.

Mein persönliches Highlight neben dem Opener „Tamp Em Up Solid“ ist übrigens das Cover „Ditty Wah Ditty“ am Schluss. Wie Ry Cooder hier allein mit mit dem eleganten Pianisten Earl Hines und seinen perlenden, präzisen Pianofiguren ein lustiges Nonsense-Lied zum Grooven bringt, das ist in dieser Besetzung wohl einmalig. Tolle und abwechslungsreiche Musik mit einem Sahnesound – was will man mehr?

Bruce Springsteen & friends – We Shall Overcome (2006)

Folk Oldies vom Rocker – fantastische Musik vom Boss und spannendes Making Of, 11. März 2007
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Ein CD und DVD Set mit Songs vom Folk-Forscher Pete Seeger. Dem Protestbarden und Folk-Vater der 60er Jahre, der Musiker wie Bob Dylan, Woody Guthrie, Joan Baez und die gesamte Folkszene Amerikas bis heute inspiriert und motiviert. Aufgenommen mit der Ehefrau Springsteens, der renommierten Countrysängerin Patti Scialfa und Musikern einer Tanzkapelle aus dem erweiterten Freundeskreis der Familie. Das Studio wurde in Wohnzimmer und Küche verlegt. Die Blechbläser kamen in den Flur (weil sie sonst zu laut sind). Es wurde wenige Male geprobt und danach mit Einzählen direkt aufgenommen. Die Kamera war dabei und dieses Set lohnt sich vor allem auch wegen der hautnahen Dokumentation der Entstehung des Albums. Ich habe selten Musiker so entspannt und konzentriert zugleich bei der Arbeit gesehen wie hier.

Die Songs haben Substanz. Der Boss ist gut drauf. Rein akustisch werden zum Teil extrem bekannte Folk-Standards durch eine ganz normale Band und einen zauberhaft dominanten Bruce Springsteen zu wirklichen Perlen veredelt.

Entstanden ist dieses Album fast spontan, ohne große Proben und „first take“. Die Einsätze werden von Springsteen einfach angesagt; da merkt man die Jahrzehnte Erfahrung als Bandleader.

Pay Me My Money Down ist einer meiner Top-Ten dieses Jahres, tief empfundener Gospel mit weißem Schweiß. Überhaupt bemerkt man sehr eindrucksvoll, wie wichtig die irische Musik als Wurzel der modernen amerikanischen Musik ist. Da sind richtige Tanz-Kracher dabei, wie „Oh, Mary Don’t You Weep“. Bei solchem Folk bleibt keiner sitzen.

Das ganze Album ungeheuer rund und stimmig. Durch das „Brett“ (Musikerausdruck für sehr harten Gitarrenanschlag) von Springsteen bekommen die Songs mehr Dynamik und Rock-Feeling im Vergleich zu einer verspielten Folk-Interpretation.

Toll die DVD-Beilage mit dem Making Of. Denn die gibt einen guten Einblick darin, wie lebendige echte Musik entsteht: „Das muss sich jetzt anhören wie viel Bier und noch mehr Whiskey“.

Ich bin kein Springsteen Kenner. Aber der Mann weiß, was er will und bekommt es von seinen Musikern. Toll. Bewegend.

Violent Femmes – Violent Femmes (1983)

schnell, frech akustisch, PUNK
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Drei Musiker, eine auf Wanderklampfe getrimmte E-Gitarre und eine Musik, die ich als „High-Speed-Folk-Punk“ beschreiben möchte. Unglaublich direkt, rotzig, schöne Melodien, harsche Texte und die Musik geht richtig ab. Im Zeitalter der Design-Alben, die für eine bestimmte Zielgruppe („Akademikerhausfrau“) oder Stimmung („Rotwein am Kamin“) gefertigt werden, ist diese kleine Perle aus den 80ern richtig erfrischend.

Wer sich an „Low-Fi“ und dem punkigen Ansatz nicht stört, findet hier ein Album aus einem Guss, welches auch in einem Zug gehört werden möchte.

Joni Mitchell – Blue

Sehr persönliche Songs einer ganz großen Künstlerin am Anfang ihrer Karriere, 26. November 2006
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[rating:5]
Dieses Album beschäftigt und polarisiert. Es ist mit seinen sehr persönlichen Songs, stillen, teilweise schmerzvollen Texten, viel Klavier und der zugegeben gewöhnungsbedürftigen (damals noch-) drei Oktaven umfassenden Stimme von Joni Mitchell viel näher am Chanson als wohl jedes andere Album dieser Zeit. Und wesentlich sperriger zu hören als die späteren Alben, welche mehr im Jazzrock verhaftet und stilistisch einheitlicher waren.

Und doch beeindruckt diese Bandbreite an Stimmungen und Stilen auch heute noch. Das Songwriting ist über jeden Zweifel erhaben. Wer die nur zum Klavier vorgetragenen Chansons wie das bitterböse „California“ nicht mag, sollte sich einfach das zarte „Little Green“ oder die Folk-Kracher „All I Want“, „Carey“ und „Flight Tonight“ anhören. Das sind echte Hit-Songs mit faszinierendem Rhythmus und Allem, was dazu gehört. Nur die Texte spielen da eine Liga höher.

Toller Sound übrigens: Ganz transparent aufgenommen, die Saiteninstrumente flirren förmlich, die akustischen Drums in Carey reißen einen vom Hocker und beim Gesang ist jedes Stückchen Stimmband der Sängerin körperlich zu spüren.

Und wem dieses Album gefällt, der versucht danach vielleicht das zauberhaft zarte „Ladies Of The Canyon“ und danach dann „Hejira“ als Einstieg in die moderneren Produktionen dieser enorm wandlungsfähigen Künstlerin. Ohne die vielen unterschiedlichen Songs von Joni wäre jedenfalls meine musikalische Welt wesentlich ärmer.

Bluegrass nach vorn – handgemachtes Sommeralbum

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[rating:3.5]

Die Del McCoury-Band legt hier DAS Sommeralbum des Jahres 2006 für Freunde handgemachter Musik vor. Zwei helle Stimmen im Satzgesang, eine perfekt eingespielte Band mit Kontrabass und diversen Saiteninstrumenten und Auswahl frischer, überwiegend schnell und treibender Songs klingen, als hätte Elvis Presley seine Sun-Sessions in 2006 mit Hilfe modernerer Musiker eingespielt. Lassen Sie sich durch das Etikett Bluegrass nicht abschrecken: Das ist handgemachter Roots-Rock aus der Country-Ecke und für jedes Autoradio brauchbar; erfrischend und handwerklichlich perfekt. Übrigens: Wie bei dieser Sorte von Musikern üblich eine Produktion, die klangtechnisch keine Wünsche offen lässt.

Etwas befremdend allerdings für mich die christlichen Texte: „It’s Suprising, what the Lord can do. Make a sinner almost new..“ – das ist die christliche Waschanlage für Gebrauchtwagen, die mich als weniger christlichen Menschen nicht so anspricht. Andererseits erreicht die uralte Geschichte von David und Goliath „Five Flat Rocks“ doch ein gospelhaft Intensität, die bemerkenswert ist.