Agenda 2010

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SPD –  wie man die Basis kleinkriegt – Merkmale einer Durchsetzung

Einer der Gründe für meinen Austritt war, dass die SPD die Agenda 2010 beschlossen hat. Die Agenda 2010 ist inakzeptabel – aber dazu später. Interessant ist zunächst, wie so etwas zustande kommt.

Dazu erhalte ich einen Brief des derzeitigen  Generalsekretärs der SPD, Olaf Scholz, der sich im Einleitungsteil etwa so liest:

Wir haben intensive, kontroverse und sicher nicht immer einfache Diskussionen in den Ortsvereinen, den Bezirken und Landesverbänden, auf den vier Regionalkonferenzen und auf dem Parteitag selbst geführt. Diese lebendigen Debatten haben schließlich zu der großen Zustimmung für den vorgelegten Leitantrag „Mut zur Veränderung“ geführt.

So kann man das auch nennen. Den ganzen Brief habe ich zum nachlesen als Brief Scholz (PDF-Download) aufbewahrt.

Bemerkenswert auch die zwei mal kurz aufeinander folgenden  „geführt“ – klarer Fall von Führungsneurose, meines Erachtens.

Interessant war die Vorbereitung dieses Sonderparteitages, auf dem diese Agenda 2010 beschlossen wurde.

Wir verfolgen dabei einige Merkmale, die in dieser und ähnlicher Form bereits in zahlreichen Fällen innerparteiliche Durchsetzungsorgien (ich sage bewusst nicht „Machtkämpfe“ – das würde auf Seiten der Opposition Macht und einen offenen Kampf voraussetzen) geprägt haben.

1. Schritt: Die „Ihr oder Ich Frage“

Uralt, aber gerade bei der SPD immer sehr beliebt ist das, was Kanzler Schröder gemacht hat, als er offen seinen Rücktritt anbot (oder androhte) für den Fall, dass sich die Basis nicht zur Agenda 2010 herbei lässt. Jede belanglose Auseinandersetzung, so sie nur Widerspruch hervorruft, wird zur Schicksalsfrage stilisiert und dann mit der „Vertrauensfrage“ verbunden.

Das ist das Verhalten von Einzelkindern und besonders wirkungsvoll gegenüber Menschen, die emotional auf die Vaterfigur fixiert sind.

Kleiner Literaturhinweis: [amazonjs asin=“B0072EXORI“ locale=“DE“ title=“Vatersöhne“] (Rowohlt 1993). Der Autor legt auf leider sehr schwafeligen 340 Seiten dar, das aus nicht näher bekannten Gründen die „Urväter“ der SPD wie Lassalle, Bebel, Ebert, Scheidemann, u.a. eine

  • sehr starke Vaterbindung und
  • eine noch stärkere, geradezu masochistisch anmutende Unterwerfungsfreudigkeit haben, verbunden mit
  • einer staatstragenden Attitüde („wir verhüten das Schlimmste“).

Mit dieser These hat der Autor sicherlich nicht ganz Unrecht. Die geradezu heldenhafte Verehrung Willi Brandts in der SPD, das Hinwenden zu alten Männern (die „große“ Rede auf dem letzten Sonderparteitag zur Agenda 2010 hielt Erhard EPPLER, und der ist über 70 Jahre alt) und die fast kritiklose Bewunderung für die „Alten“ ist jedenfalls noch heute ein ganz wesentliches Merkmal der innerparteilichen Kultur der SPD.

Umso wirkungsvoller ist die Gretchenfrage natürlich. Schröder ist zwar noch nicht 70. Aber in solchen Fällen begreiflicher Weise bemüht, eine Vaterfigur darzustellen.

2. Schritt: Ausgrenzen!

Ist der 1. Schritt vollbracht, dann geht es darum, die inhaltlichen Widersacher zu verteufeln und sogar offen zu verunglimpfen. Ganz einfach:

Wenn es eine organisierte Opposition geben sollte, die andere Meinungen vertritt, dann wird diese ausgegrenzt.  So in geradezu ekliger Weise geschehen mit den durchaus ambitionierten Kritikern der Agenda 2010. Das waren die 12 Bundestagsabgeordneten, die ein Mitgliederbegehren gegen die Agenda 2010 einleiten wollten. Die wurden von den Vatersöhnen und Amtsinhabern, vulgo der „Mehrheitsmeinung“ als das DRECKIGE DUTZEND verunglimpft und zunächst einmal rein emotional aus der Gruppe ausgeschlossen. Das geht so:

Nach Schritt 1. wird deutlich darauf hingewiesen, dass jeder Kritiker nicht nur die Gefolgschaft verweigert (ein sog. emotionales- also Scheinargument, das aber aus den Gründen beim 1. Schritt hier gut wirkt), sondern vor allem auch:

3. Schritt: Kritik verhindert den Fortschritt!

Das ist das OberHammerTotschlagPseudoArgument. Der Kritiker verhindert bekanntlich immer den Macher. Und der Macher Schröder in der SPD ist ja erst seit 5 Jahren an der Regierung. Nur fünf Jahre!!! Das ist doch keine Zeit für einen wirklichen Reformer wie Schröder.

Vor allem nicht für einen Reformer, der nicht gern auf andere hört. Und – ein wirklich immer wieder deutliches Zeichen für fehlende Teamfähigkeit die Kleinigkeit von fast 20 Ministern seit seinem Amtsantritt vor 5 Jahren ausgewechselt hat.

Also mal ehrlich: Jeder halbwegs ambitionierte Politologiestudent oder Zeitungsleser weiß spätestens seit dem Zusammenbruch der Aktienhype, dass die 80er Jahre vorbei sind und schon vor 30 Jahren war bekannt, dass es sowohl mit der beitragsfinanzierten Rente, als auch mit der Arbeitslosenversicherung in Zeiten der Globalisierung ein gewisses Problem gibt.

Ehrlich mal: Was tat Kanzler Schröder? Er berief 3 Monate vor der Bundestagswahl 2002 die Hartz-Kommission ein. Ist doch wirklich dynamisch. Und jeder der andere Vorstelllungen hat, der ist ein Fortschrittsverhinderer. So einfach ist das für denjenigen, der das fehlende Tempo des Fortschritts bestimmt.

4. Schritt: Trommeln!

Dann kommt die Propagandamaschine: Lokalkonferenzen (das sind merkwürdige Veranstaltungen, wo die Funktionäre in eilends angemieteten Hallen über riesige Beschallungsanlagen der Basis sagen, was die Basis hören soll) und vor allem immer wieder beliebt: Power-Point-Folien zum Download (der Link zur Bundesregierung ist leider mittlerweile tot), mit denen auch der dümmste Abteilungsvorsitzende seiner Basis klar machen kann, warum Kanzler Schröder der Motor des Fortschritts ist. Apropos Link: Warum nahm eigentlich Kanzler Schröder den Webserver der Bundesregierung, um seine Parteipropaganda in Form von bunten Power-Point Folien unter`s Volk zu bringen?

Die Folien der SPD befinden sich leider im geschützten Mitgliederbereich. Ist doch aber auch ganz nett, was die Bundesregierung hier propagandamäßig anzubieten hat.

Weiter: Abteilungsversammlungen mit definierten Inhalten spicken. Material streuen. Die Gewerkschaften darauf hinweisen, dass jede Freundschaft endlich sein könnte. Bei der CDU anfragen, ob die wirklich keine andere Meinung haben (haben Sie nicht – die CDU hat Merz und keinerlei Meinung zu Sachfragen).

5. Schritt: Luxushotel und eintüten!

Dann muss der Parteistratege diesen Konflikt noch zu einem abstimmungstechnischen Ende bringen.

Dazu eignet sich ein Tagungshotel der Luxusklasse (der letzte Sonderparteitag soll 1.0 Mio EUR verschlungen haben), eine sauber durchgestylte Abfolge von abgesprochenen Redebeiträgen. Hilfreich vor allem, wenn an dieser Stelle ein alter Mann die Bühne betritt und den chronisch verwirrten Delegierten versichert, dies sei aus der Sicht des PAPA der richtige Weg und jede andere Abstimmungsentscheidung falsch.

Der Häuptling (Schröder, Parteivorsitzender) betritt nur kurz die Bühne, knurrt und betont nochmals Schritte  1. – 3. ; nein: Ich war nicht dabei, aber so ist es gewesen. Propaganda ist boring simple.

6. Schritt: Fertig!

Das war`s; dies war zwar keine Annäherung an die Agenda 2010, aber immerhin ein Versuch in Parteikultur und Taktik.

az, 06.06.2003

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