SPD-Austritt

SPD – warum austreten? Mit vielen anderen Mitgliedern der SPD verließ ich im Jahr 2003 diese Partei und kam nicht zurück. Was mich damals so bewegt und umgetrieben hat:

Auf dieser Seite diskutiere und reflektiere ich die Gründe für meinen am 04.06.2003 nach über 15 Jahren Mitgliedschaft erklärten Austritt aus der SPD. Eigentlich wollte ich diese Gedanken alle im Austrittsschreiben selbst unterbringen. Aber wer liest das schon und manches erschien mir noch nicht ausgereift. Es fehlen mir (und Euch bestimmt auch) noch Quellen, Belege und weiterführende Informationen. Ich mache daher aus meiner Begründung für den Austritt ein kleines Projekt und werde versuchen, die Themen und Gedanken mit der Zeit zu ordnen und transparenter zu machen. Es handelt sich um meine Meinung zu einem politischen Thema.Hinweise, Meinungen und Quellen bitte jederzeit gern per Mail. Es reicht mir! Das wars! Nach einer kurzen Bedenkzeit und dem letzten Parteitag erkläre ich hiermit meinen Austritt aus dieser Partei. Eine Partei, die eigentlich seit dreißig Jahren zunehmend und zuletzt völlig konzeptlos „das Schlimmste verhütet“ und schon seit längerem eigentlich nur noch die Interessen einer völlig abgehobenen Kaste von Berufspolitikern sowie des Großkapitals bedient hat – Thatcherismus in der übelsten Form könnte ich eigentlich auch mit der CDU oder der FDP haben:

SPD – die Partei der alten Herren

Seit 30 Jahren und zwei Regierungen wissen wir, dass es ab dem Jahr 2000 zu einer umgekehrten Alterspyramide, zur Globalisierung und zum Zusammenbruch der sozialen Systeme nach dem Deckungsprinzip kommen wird. Erkennbare Konzepte – keine. Statt dessen allein im letzten Jahr (was die Jahre 4 und 5 einer rot-grünen Regierung sind, nicht etwa die Jahre 1 und 2) zwei Kommissionen, welche die Aufgabe der Politik übernehmen sollen – Politik soll planen, entscheiden und gestalten. Es ist einfach nur peinlich, wenn ein verzweifelt konzeptloser Kanzler sich mit den Genossen Eppler und Böckernförde letztlich zur Rechtfertigung einer kruden Sozialabbaupolitik derjenigen Politikergeneration bedient, deren Versäumnisse wir hier mit auszubaden haben.

SPD – die Partei der leeren Kassen und der großen Konzerne

Eine Umverteilungspartei ist das. Deren „Konzept“ sich darauf beschränkt, in einer gigantischen Umverteilungsaktion allein in den letzten Jahren (auch durch finanzpolitische- und steuerrechtliche Fehler) Steuerausfälle im Bereich der bilanzierenden Großunternehmen in einer kaum noch fassbaren Größenordnung von Milliarden DM/EUR zu produzieren. Wir erinnern uns: Daimler/Crysler, die Deutsche Bank, die Allianz und die vielen anderen Großkonzerne haben mindestens ein Jahr praktisch keinerlei Steuern gezahlt, weil die Finanzpolitiker unserer genialischen Schröder-Regierung nach Amtsantritt bei der Reform des Unternehmenssteuerrechts mal eben „nicht aufgepasst“ hatten. In der Wirtschaft verliert bei solchen Vorkommnissen die halbe Firma den Job. Gleichzeitig blieb die steuerliche Belastung der Normalverdiener und Familien im Wesentlichen unverändert. Ist doch cool: Steuerreform I + II und III – aber wo das Geld wirklich bleibt, das ist bei den Konzernen. Wir erinnern uns mal: Wer hat in den letzten 20 Jahren einen Großteil der Ausbildungsplätze in diesem Land bereitgestellt? Die Großkonzerne? Nein. Die Klein- und Mittelbetriebe stellen wie in Niedersachsen 60 – 70 % der Ausbildungsplätze. Die können sich traditionell aber keine eigene Lobbyarbeit auf höchstem Niveau a la Hunzinger leisten. Und auch keine Steuerkanzleien und Bilanztricks, die mal eben für ein Jahr zur kompletten Steuerfreiheit führen – dumm gelaufen. Wir erinnern uns auch: Was ist die Krönung einer sauber mit Pensionsansprüchen versorgten Politikerkarriere a la Wienand? Richtig: Ein Job in der oder für die Großindustrie. Die können wenigstens noch ordentliche Gehälter zahlen. Zu diesem Thema hat mir mein ehemaliger Parteifreund Axel Bochow eine ganz interessante Anmerkung gemailt. Es ist ja nicht so ganz unproblematisch, welche Versorgungsbezüge sich Politiker selbst geschaffen haben.

SPD – die Privatisierungspartei

Durch permanenten Rückzug des Staates aus den Bereichen der sozialen Vorsorge und Veranwortung (Privatisierung von Krankenhäusern, Privatisierung von Bäderbetrieben, Privatisierung von Kindertagesstätten, Privatisierung des mietpreisdämpfenden kommunalen Wohnungsbestandes, als nächstes kommt die Privatisierung der Kranken- und Rentenversicherung) die Lebenshaltungskosten der Familien und Normalverdiener ständig ansteigen lässt. Ich habe nie verstanden, warum zum Beispiel die Berliner Badeanstalten mit ihrem zugegebenermaßen teuren Personal privatisiert werden mussten. Außer der Verschleuderung wertvollen Grundbesitzes und einer Verdoppelung der Eintrittspreise bei einer Halbierung der Einrichtungen und Öffnungszeiten hat das eigentlich niemandem genutzt. Nur die Besucherzahlen sind erheblich zurückgegangen, so dass die Badeanstalten ihrem eigentlichen Auftrag, nämlich kostengünstige körperliche Betätigung auch für Kleinverdiener, Arbeitslose, Jugendliche und Familien zu ermöglichen und dadurch soziale- und Gesundheitskosten zu vermeiden, nicht mehr genügen wie vor 10 Jahren. Klasse! Nur die Anzahl der Beschäftigten in der Berliner Senatsverwaltung für Familie (kicher…), Jugend, Sport und anderes Kleingetier ist in der gesamten Zeit der Privatisierungswellen meines Wissens nicht erheblich zurückgegangen. Eine der in ihrer ganzen Aufgeblähtheit kuriosesten Berliner Verwaltungen – aber das ist ein Klientel, mit dem es sich diese Partei niemals verscherzen würde. Die Familie? Quatsch! Die schätzungsweise 2000 Genossinnen und Genossen, die in dieser meines Erachtens weitgehend überflüssigen Verwaltung sauber versorgt sind. Und ein SPD-Mann an der Spitze, dessen hauptsächliche Bedeutung bei einem Monatseinkommen von geschätzten 15 – 20.000 EUR monatlich einschließlich der unverfallbaren und nicht kürzbaren Pensionsansprüche darin besteht, alle Nase lang eine dringend notwendige Reform des Berliner Schulgesetzes auf den Weg zu bringen. Na ja. Mehr politische Konzepte können wir von einem gelernten Lehrer vielleicht auch nicht erwarten. Aber brauchen wir (wir im Sinne des viel beschworenen Gemeinwesens), so einen Politiker wirklich? Wohl kaum. Dass es schon in 10 Jahren kaum noch Schüler und Kinder für Kindergärten geben wird, interessiert so eine Behörde wenig. Beamte haben immer etwas zu tun. Zuletzt vor allem die Privatisierung der Kindertagesstätten auf freie Träger zu organisieren. Ein interessantes Thema für später.

SPD – die Schwarzarbeitspartei

Die seit Jahren stagnierenden Realeinkommen und steigenden Lebenshaltungskosten führen dazu, dass vor allem Bezieher „normaler“ Einkommen und vor allem Familien in die neue Armut und/oder in die Schwarzarbeit getrieben werden.  Ich sehe hier übrigens einen direkten Zusammenhang mit der neoliberalen Privatisierungspolitik dieser Partei. Ein Beispiel: Wenn ich mietgünstigen landeseigenen Wohnungsbestand zu Schleuderpreisen an Spekulanten und eilig gegründete Auffanggesellschaften veräußere, setze ich damit natürlich eine Mietpreisspirale in Gang. Und wenn der private Aufkäufer solcher Wohnungen dann das tut, was Immobilienkaufleute eben so tun (ein wenig modernisieren und die Miete um 10 – 30 % hochsetzen) und der genervte Familienvaten dann zu seinem Arbeitgeber geht, um eine Lohnerhöhung zu bekommen – was passiert dann? Der Arbeitgeber lehnt dankend ab. Er hat gerade Konkurrenzdruck aus China und überlegt, vor dem Ruhestand noch einmal so richtig Fördergelder abzugreifen und die Reste seines Betriebs nach Brandenburg zu verlegen. Gesagt, getan. Unser Mieter der GSW bekommt die betriebsbedingte Kündigung, der Arbeitsplatz ist weg. Und zwar für immer, machen wir uns doch nichts vor. Es gibt doch kaum noch gewerbliche Arbeitsplätze in Berlin. Die Miete steigt trotzdem, da liegt es doch nahe, den erlernten und gekonnten Beruf neben dem Bezug von Leistungen ohne Versicherungspflicht schwarz auszuüben. Die Miete muss ja bezahlt werden. Die Königin der neoliberalen Privatisierer in Berlin (und die Königin der Steuergeldverschwendung bei der Landesbank – aber davon später mehr) Annette Fugmann-Hesing wird mir da sicherlich widersprechen wollen – wo ist der Zusammenhang? Ganz einfach – Annette: Der Staat, der sich aus der Verantwortung stiehlt durch die Verschleuderung von Grundbesitz und Veranwortung, erzeugt einen Bürger, der sich auch aus der Veranwortung stiehlt. Oder gibt es ökonomisch, politisch oder emotional irgend einen rationalen Grund dafür, warum der Bürger sich an einem Solidaritätsmodell beteiligen soll, dass auf Seiten des Staates aufgekündigt ist? Wohl kaum.

SPD – kein Einstieg in den Arbeitsmarkt für Niedriglöhne?

Und wenn dann noch der dringend notwendige Einstieg in den sozialversicherungspflichtigen Niedriglohnbereich nicht vollzogen wird, sondern mit einer unglaublich sinnlosen „Mini-Job“ Regelung dafür gesorgt wird, dass

  • die ohnehin stark belasteten Kleinunternehmen und Mittelständler in Zukunft auch noch das Steuerinkasso für die Finanzämter durchführen
  • die Abgabenlast und
  • der Verwaltungsaufwand für kleine Jobs noch größer werden

wobei kurioser Weise es sich bei den gegenwärtigen Lebenshaltungskosten ohnehin niemand leisten kann, für weniger als 800 EUR ernstlich zu arbeiten. Dann hat die Partei (warum eigentlich) wieder einmal den Anschluss an die Zukunft verpasst. Sicherlich sind Niedriglöhne nicht die Lösung für alles. Der DGB hat mit seiner Grafik zu Niedriglöhnen ja auch nicht so ganz Unrecht – Leben in einem Staat ohne Staat ist teuer. Aber andererseits kann es auf Dauer auch nicht die Lösung sein, dass schätzungsweise 25 – 50 % aller Erwerbseinkommen am Staat und den sozialen Systemen vorbei erzielt werden. Denn das nützt nur wem? Richtig. Den Neoliberalen. Denn die wollen ja ohnehin einen schlanken Staat und  keine Verantwortung. Und wer die Schwarzarbeiterkolonnen versorgt, wenn das Kreuz schmerzt und die körperlichen Kräfte nachlassen? Egal! Die Krankenkassen, so lange die noch zahlungsfähig sind. Danach? Egal. Liberale waren noch nie für einen Hang zur vorausschauenden Planung bekannt. Bei denen ist jeder immer stark und Nachhaltigkeit ein absolutes Fremdwort. Ich sage hier nur, was viele ernst zu nehmende Leute schon länger sagen: Wir brauchen einen Einstieg in den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt mit Niedriglöhnen. Da haben die Gewerkschaften einen schweren Stand in der Argumentation. Das geht natürlich nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wie etwa niedrige Wohnkosten

  • günstige Krankenversorgung
  • günstige Kinderversorgung
  • Bekämpfung der Schwarzarbeit

Und das geht nur mit einem funktionierenden Staat. Will der aber nicht. Privatisieren ist einfacher.

SPD – Schrecken der arbeitslosen Arbeitnehmer

Und wenn dann (die eigentliche Krönung sozialdemokratischen Reformwerks), die arbeitslosen Arbeitnehmer (also Leute, die zum Teil jahrzehntelang gearbeitet und und fett Beiträge gezahlt haben) nach 12 Monaten ohnehin nicht üppiger Versorgung mit Arbeitslosengeld in die Hilfeleistung gedrängt werden. Also dieser letzte Punkt ist wirklich die mit Verlaub unglaublichste Verarschung von Arbeitnehmern, die dieses Land jemals gesehen hat. Wir wollen uns Punkt 6. noch einmal ganz in Ruhe mathematisch klarmachen: Da werden einer Arbeitnehmerin, die nach der Ausbildung zu arbeiten angefangen hat und dann (unterbrochen durch zwei kurze Erziehungszeiten – kurz, weil Miete, Ausbildung und Schule ständig teurer wurden und bezahlt werden mussten) in 25 Berufsjahren etwa 8 % der Gesamtlohnkosten für die Arbeitslosenversicherung vorenthalten. Nehmen wir einmal das durchschnittliche Jahreseinkommen in dieser Zeit mit 8.000 EUR p.a. an, dann hat die gute Frau 8000 * 0,08 * 25 = 16.000 EUR Beiträge eingezahlt, die bei ordnungsgemäßer Anlage und Vewendung in dieser langen Zeit auf etwa 24.000 EUR angewachsen sind.  Die Höhe der Beiträge war schwankend. Ich habe glatte Werte genommen. Einzelheiten sind hier dokumentiert: Übersicht AFG. Die gute Frau erhält aber nur 8000 * 0,6= 4.800 EUR ALG und danach wird sie darauf verwiesen, dass sie ja noch einen Gatten hat, der ihr unterhaltsverpflichtet ist und daher kein Anspruch auf Leistungsbezug mehr besteht. Sie hat aber auch die Möglichkeit, eine „ICH-AG“ zu gründen, um damit dann endgültig die Bereiche der Arbeitsmarktstatistik und sozialen Systeme zu verlassen. Und in den ganzen 25 Jahren haben ganze Kohorten von hoch bezahlten Beamten und Politikern zugeschaut, wie Gelder der Sozialversicherung für die Unterstützung von Schwarzarbeiterkolonnen, absurde AFG-Maßnahmen und zur Finanzierung von Wahlkämpfen (Schröder und Kohl haben das ganz konsequent gemacht) hinausgeballert werden. Es ist ganz einfach: Wenn der Staat im Sinne eines Gemeinwesens sich nicht mehr um den Bürger kümmert, dann hört logischerweise auch die Solidarität des Bürgers mit dem Staat irgend wann auf.

SPD – die Partei des Filzes

Der Berliner Filz und seine Auswüchse sind schon unappetitlich. Am nettesten finde ich eigentlich den Umstand, dass der SPD-Mann Klaus Riebschläger in einer Art von Doppelfunktion als Erschaffer, Verwalter und Henker des Sozialwohnungsbaus immer recht gut versorgt wurde: Der in der Welt wohl einmalig teure und durch vielfachen Berliner Filz genährte Sozialwohnungsbau der frühen 80er Jahre wurde durch Klaus Riebschläger zunächst in seiner Eigenschaft als Bausenator verwaltet, danach durch den Banker Riebschläger (sozusagen der Amtsvorgänger von Klaus Landowsky) finanziert (man kennt sich ja von früher) und zuletzt ist der Anwalt Riebschläger damit beschäftigt, für seine alte Klientel dagegen zu klagen, dass die Anschlussförderung für diese völlig überteuerten und ohnehin bereits etwa 150 % aus öffentlichen Geldern bezahlten Sozialwohnungsbauten nicht gestrichen wird. Eine tolle Karriere in dieser Partei. Einzelheiten zum Skandal  fand man seinerzeit sogar im Berliner TIP Magazin. Solche Sachen gibt es überall – sicherlich. Aber wohl nur in NRW, im Saarland und in Berlin ist es so schön und so sozialdemokratisch. Und besser wird es auch nicht dadurch, dass es alle machen.

az, 04.06.2003

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