Nirgends wird die Wirrnis kommunaler Stadtplanung so plastisch wie am Tempelhofer Damm 1, wo kürzlich eine der größeren Spielhöllen des Bezirks direkt gegenüber dem Flughafen Tempelhof ihre Pforten öffnete. Übrigens in einem leicht herunter gekommenen Gebäude, dessen hoher Leerstandsanteil wohl auf die überzogenen Renditeerwartungen der Eigentümerin zurückzuführen sein dürfte. Hier steht der ehemalige Edeka-Supermarkt nebenan mit einer Fläche von ca. 600 m² seit etwa einem Jahr leer.
Spielhölle „Vulkan“ am Platz der Luftbrücke |
Vorausgegangen war ein (nach Berichten im Stadtplanungsausschuss) für den Bezirk aussichtsloser Prozess gegen den Spielhöllenbetreiber, der die ihm zuvor durch den Bezirk verweigerte Gewerbeerlaubnis eingeklagt hatte. Was war geschehen?
Der Bezirk hatte diesen Bereich zwischen Flughafen und Ortskern Neu-Tempelhof bereits vor längerer Zeit als Kerngebiet ausgewiesen, ähnlich wie am Schöneberger Gasometer, wo der frühere Baustadtrat Bernd Krömer (CDU) bereitwillig eine Kerngebietsausweisung betrieb, um einem Projektentwickler eine dichtere Bebauung zu ermöglichen. Wozu es an dieser trotz des Verkehrslärms eher ruhigen Ecke Tempelhofs ein Kerngebiet braucht, ist für Laien wie Experten unklar. Handelt es sich doch um ein typisches örtliches Zentrum, eine „local high-street“ eben. Und für solche ist ein Kerngebiet weder gedacht noch zulässig, sondern es
… ist eine mögliche Festsetzung in einem Bebauungsplan. Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben, insbesondere von großflächigen, die außer in Kerngebieten nur in eigens ausgewiesenen Sondergebieten zulässig sind, sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft und der Verwaltung. Erlaubte Nutzungen sind Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, Schank- und Speisewirtschaften, Anlagen für kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke. Vgl. §§ 7, 11 Abs. 3 Baunutzungsverordnung.
Weder gibt es an dieser Ecke großflächigen Einzelhandel, noch sonstige Merkmale eines Kerngebiets. Statt dessen befinden sich in der Nachbarschaft das Landeskriminalamt, mehrere Schulen, Kindergärten und eine Menge kleinerer Gewerbe, Einzelhandel, Fleischer, Tchibo und Praxen. Und es wird hier auch noch gewohnt. Ein recht lebendiger Kiez also. Wo auch nirgends ein Alexa Einkaufszentrum hinpasst oder ein Multiplexkino. Hier wollten die vom Größenwahn befallenen Amtsvorgänger der jetzigen Baustadträtin Sib
yll Klotz (Grüne) offenbar Grundstücksspekulanten anlocken. Oder litten unter Tempelhofer Großmannssucht. Und wollten die ansässigen Gewerbe und Wohnungsmieter ganz offensichtlich loswerden. Die Gewerbe durch Konkurrenz von Saturn und Co., die Wohnungen sind in einem Kerngebiet sogar ganz unzulässig.
Danke sagten die Spekulanten. Es kam zunächst der Leerstand und danach der Spielhallenbetreiber. Weil Spielhallen in einem Kerngebiet ebenso generell zulässig sind wie Bordelle. Es sei denn, man ist sorgfältig und
- plant kein überflüssiges Kerngebiet oder
- wenn schon Kerngebiet, dann schließt ein kluger Bezirkspolitiker unerwünschte Nutzungen durch Textzusatz aus.
Zu beiden Varianten hat es bei den genialischen Bezirkspolitikern von Tempelhof-Schöneberg hier und an vielen anderen Orten im Bezirk leider nicht gereicht. Also beantragte (und bekam) der Spielhöllenbetreiber seine Genehmigung für die Spielhölle. Und die Bezirkspolitiker Schworck und Band (SPD) lieferten vor der Bezirksverordnetenversammlung in der letzten Wahlperiode mehrfach dramatische Auftritte ab, in denen sie über ihre Rückzugsgefechte gegen Spielhöllen am Tempelhofer Damm berichteten.
Reine Schaufensterpolitik. Denn die Spielhölle gibt es bei einem Kerngebiet gratis, wenn die Punkte 1. und 2. oben nicht beachtet werden. Das ist wirklich das ganz kleine Einmaleins der kommunalen Stadtplanung. Weshalb solche großmannssüchtigen Kerngebietsausweisungen ebenso verzichtbar sind wie die Politiker, die solchen Unfug anzetteln.
Jetzt rudert der Bezirk gezwungenermaßen zurück. Der frühere Bezirksverordnete Andreas Baldow (früher auch SPD, jetzt CDU) verkündete vor dem Stadtplanungsausschuss, man beabsichtige die Rückstufung mehrerer Kerngebiete im Bezirk, zunächst wohl am Tempelhofer Damm 1. Baldow, der bis zu seiner Rochade in das Stadtplanungsamt des Bezirks zuletzt am Gasometer ein glühender Befürworter sinnloser Kerngebietsausweisungen war, darf also den Blödsinn reparieren, den er zusammen mit seinen ehemaligen Tempelhofer Parteifreunden Band und Schworck sowie dem ehemaligen Baustadtrat Krömer angezettelt hat.
Da solche Möchtegernpolitiker regelmäßig nicht lernfähig, sondern nur pensionsfähig sind, wäre die sauberste Lösung die Rückgabe des gesamten Stadtplanungsrechts und aller Kompetenzen in diesem Bereich an die zuständige Senatsverwaltung. Vielleicht hat man dort mehr Überblick, wo in Berlin Kerngebiete mit überörtlicher Ausstrahlung sind und wo nur lokale Zentren mit Wohnen und Kleingewerbe (und ohne Spielhöllen).