Men in Black mit guter Musik – Lyle Lovett & Band und Russ Kunkel

Lyle LovettAls Lyle Lovett im schwarzen Anzug mit Cowboystiefeln die Bühne betritt, wird es sofort still. Der Mann mit dem schiefen Gesicht singt eine seiner lakonischen Balladen, bevor vier weitere Männer in schwarzen Anzügen die Bühne betreten. „Here I Am“, ein ausgefallen arrangierter Wechsel von gesprochenen Strophen und wuchtigem Swing im Refrain eröffnet das Konzert mit der Band.

Natürlich geht Lovett nicht mit seiner Large Band auf Tournee, die fast zwanzig Musiker hätten auch nicht in den Tourbus gepasst. Aber er bringt mit Russ Kunkel (dr) einen der sparsamsten und geschmackvollsten Drummer der amerikanischen Musikszene mit. Und mit Victor Krauss am elektrischen Upright-Bass einen ebenso druckvollen wie unauffälligen Bassisten. Kunkel hat in den bisherigen 40 Jahren seiner Laufbahn für Jackson Browne, Joni Mitchell und die gesamte Folk-Rock Szene Amerikas den Besen bedient, meist zusammen mit dem Bassisten Leland Sklar. Er bringt ein gigantisches Drumset auf die Bühne und ein riesiges Buch mit Leadsheets, in dem er während des gesamten Konzerts ständig liest. Er muss bereits über 60 Jahre alt sein, ein großer schwerer Mann, der seine Sticks und Besen bedient, wie ein Chirurg sein Besteck. Und doch: Kunkels typische Akzente auf den Toms, seine knochentrockenen Patscher auf die Snare – das hat richtig Kraft und lässt alles weg, was von den anderen Musikern zu füllen ist. Einen so guten Sound (und solche diskrete Präzision) habe ich von einem Drummer live noch nie gehört zuvor. Nicht umsonst ist der Mann eine Legende.

Und er hält die Band zusammen. Was man besonders deutlich hört, als er im letzten Teil der Zugabe mal einen „Aussetzer“ hat – sofort gerät für Bruchteile einer Sekunde alles aus dem Ruder. Ein fragender Blick von Lovett, eine demonstrativ gesenkte Schulter von Kunkel – nachts um 22.00 Uhr darf man mit 60 + auch mal müde sein. Das harmonische Fundament liefert der Bass; Victor Krauss (der Bruder der bekannten Sängerin und Geigerin Alison Krauss) hat damit überhaupt kein Problem. Mit seinem wuchtigen Upright-Bass gibt er den Orgelpunkt ebenso locker wie den superschnellen Lauf an seinem Instrument. Durch das lange Sustain und den fetten Sound ist damit das Thema „Begleitung“ in dieser Band eigentlich schon erledigt – Bass und Drums können das fast schon allein.

Müssen sie aber nicht: John Hagen am elektrisch abgenommenen Cello spielt in dieser Band (wie soll man das beschreiben?) die elektrische Gitarre: Rau mit krachenden Doppelgriffen und wilden Obertönen füllt er die Mitten im Sound, denn Lovett selbst bevorzugt einen sparsamen und sehr höhenreichen Sound mit seiner akustischen Gitarre.  Lovett lässt auch nie eine Sekunde Zweifel aufkommen, wer hier der Bandleader ist. Seine sparsame, doch sehr ausdrucksvolle Gitarrenarbeit gibt das Tempo vor und begleitet oft über längere Strecken auch solo den Gesang; da hat der zweite Gitarrist wenig zu tun und beschränkt sich auf einige genretypisch sehr flinkfingrige Soli. Schwer verständlich allerdings die sehr ausführlichen Monologe Lovetts zwischen den Titeln – einen Texaner mit seinem nuscheligen Akzent zu verstehen, der von Tourerlebnissen plaudert und sich (offenbar nach dem Besuch eines Bäckers in Stuttgart) als „Brotschen-Fan“, nämlich Freund gebackener Weißbrote bezeichnet – das ist eine echte Herausforderung für mein Englisch.

So konzentriert und gut aufgelegt habe ich lange keine Band mehr erlebt: Trotz der sehr abwechslungsreichen und zum Teil richtig schwierigen Songs spielen sich Lovett und seine Musiker durch fast zwei Stunden Programm und schließen das Konzert mit dem gospelhaften „Church“ und der programmatischen Zeile

it’s time for dinner now let’s go eat

Guten Appetit und kommt mal wieder, Jungs!