Julius Leber – die offenen Fragen

Am 18.03.2013 wäre Annedore Leber, die Ehefrau und Witwe des Widerstandskämpfers Julius Leber (SPD) 99 Jahre alt geworden. Sie betrieb an der Einmündung der Leberstraße auf die Torgauer Straße eine Kohlenhandlung, deren letzte Betriebsstätte noch heute in Form einer kleinen weißen Baracke sichtbar ist. In dem durch Bombeneinschläge zerstörten vorherigen Gebäude der Kohlenhandlung war der Anschlag auf Hitler organisiert worden. Im Hinterzimmer sozusagen. Dies wollten die Initiatoren einer Demonstration in Erinnerung rufen, die an dem lausekalten 18. März von der Julius Leber Brücke über die Leberstraße zur Torgauer Straße zog.

Demo "Gedenken Leber"

Demo „Gedenken Leber“

Die bei dem Umzug im Verhältnis zur Teilnehmerzahl reichlich vorgezeigten roten Fahnen konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass der eigentliche Grund der Demo ernster war als rote Romantik: Die Baracke mit dem letzten sichtbaren baulichen Zeichen Lebers auf der Roten Insel soll nach dem Willen der zuständigen Stadträte Krüger und Kaddatz (CDU) so schnell wie möglich abgerissen werden. Und einer Steckdosenleiste mit Park weichen, so jedenfalls die bewusst Geschichte und Ort verleugnende Version der konservativen Bezirkspolitiker. Die nach einem total vermurksten „Kunstwettbewerb“ für das Gedenken an Julius Leber zuletzt sogar mit Schadensersatzansprüchen drohten für den Fall, dass jetzt nicht schnell gehandelt und abgerissen werde. Zeit also, diese unübersichtliche Gemengelage aufzuklären und die wichtigsten Fragen zu beantworten:

Warum Gedenken an Julius Leber?

Julius Leber vor dem Volksgerichtshof
Quelle: Wikipedia

Julius Leber ist einer der wichtigsten Widerstandskämpfer gegen Hitler. Er steht mit seinem Leben und Lebenswerk dafür, dass Widerstand gegen das dritte Reich keine Angelegenheit von romantischen Studenten und adligen Wehrmachtsoffizieren, sondern vor allem auch der SPD und der organisierten linken Politik war.

Julius Leber ist sozusagen der historische und politische Gegenentwurf zu Graf von Stauffenberg. Julius Leber ist Politik statt Tom Cruise, Partei statt Adel.

Julius Leber ist mehr als ein Name für einen S-Bahnhof oder eine Brücke. Er ist der historisch wichtigste Einwohner der Roten Insel, bedeutender als Marlene Dietrich, Alfred Lion und Friedrich Naumann.

Wer hat etwas dagegen?

Die CDU. Die konservativen Provinzpolitiker Jutta Kaddatz (CDU), Bezirksstadträtin für Bildung, Kultur und Sport und Daniel Krüger (CDU), zuständig für die Neugestaltung des Grünzuges entlang der Torgauer Straße, sind offenbar fest gewillt, Julius Leber und dem sozialdemokratischen Widerstand gegen Hitler keine Chance zu geben. Vielleicht nur deshalb, weil Leber in der aus ihrer Richtung falschen Partei war. Frau Kaddatz führte trotz der eindeutigen Beschlusslage der BVV Tempelhof-Schöneberg, nämlich „Julius Leber ein würdiges Gedenken zu geben“ einen Kunstwettbewerb durch. Kunst schließt zwar Gedenken und Nachdenken nicht aus, die eingeschränkte Fragestellung (Kunst statt Denken) und der lächerlich geringe finanzielle Rahmen des Wettbewerbs (ganze 20.000 € waren ausgelobt – davon bleibt nach Umsetzung der Maßnahme praktisch nichts für den Wettbewerbssieger) sorgten für eine Steckdosenleiste als Wettbewerbsergebnis. Julius Leber und Geschichte wurden ausgeblendet. Provinziell peinlich, aber zweifellos gewollt.

Was will die SPD?

Julius Leber ist einer der wichtigsten Politiker der SPD in den 30er bis 40er Jahren. Mittlerweile will die SPD auch mehr als eine Gedenktafel. Nachdem man dort zunächst offenbar meinte, mit einem BVV-Beschluss zum „würdigen Gedenken“ sei die Sache sozusagen automatisch gelaufen, wurden auch die bezirklichen SPDler zuletzt wach. Und schwenkten auf der Demonstration rote Fahnen. Jetzt müssen sie nur noch das Gedenken und Nachdenken durchsetzen. Gegen CDU und angebliche Sachzwänge.

Was braucht Julius Leber?

Zunächst einmal Geld. Wesentlich mehr als die 20.000 €, die aus Mitteln des Stadtumbau West für ein Betonquadrat nebst Steckdosenleiste abgezweigt werden sollten. Ein Ort des Gedenkens und Nachdenkens über den deutschen Widerstand und Julius Leber als historische Person braucht nach Auffassung der Fachleute vor allem zwei Dinge:

Wettbewerbsbeitrag „Kohlenhandlung“

Sichtbarkeit und inhaltliche Gestaltung.

Ob eine entsprechende Gestaltung der Baracke der richtige Weg ist, wie in einem anderen (nicht prämierten-) Wettbewerbsbeitrag. Oder ob es sogar ein kleines Museum braucht oder eine ausführlich und sachkundig gestaltete Gedenkstätte: In jedem Fall ist der Ort, wo der Widerstand gegen Hitler geplant wurde, sichtbar zu machen und fachkundig zu gestalten. So dass dies zum Erinnern und Nachdenken anregt. Es muss ja nicht gleich ein Projekt wie das jüdische Museum sein. Nur historisch korrekt und sichtbar.

Wer kann Julius Leber?

Bleibt die Frage, wer das organisieren und finanzieren soll. Das in diesem Fall CDU-geführte Bezirksamt jedenfalls nicht, das haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt. Das Bezirksverwaltungsgesetz erlaubt es leider nur in seltenen Fällen, den zuständigen Stadträten vorzuschreiben, was sie tun sollen. Und diese beiden Perlen der Provinzpolitik werden sich wohl bis zuletzt verweigern. Daher muss wohl das Land Berlin ran.

Es wird Zeit für die SPD, den Worten und Bekenntnissen auch Taten folgen zu lassen und über die Parteischiene Geld und Kompetenz auf Landesebene einzuwerben. Nicht nur hat der deutsche Widerstand überregionale, sozusagen hauptstädtische Bedeutung. Ob die Gedenkstätte deutscher Widerstand auch außerhalb des Bendlerblocks (heute sitzt dort das Bundesministerium für Verteidigung) tätig wird und sozusagen eine Zweigstelle betreut. Oder ob mit einer Mischfinanzierung aus Landes-, Bezirksmitteln und Mittel aus dem Stadtumbau West – es gibt genügend Institutionen und Personen, die zur inhaltlichen Konzeption bereit und in der Lage wären. Es fehlen nur noch Organisation und Mittel. Wer BBI-Desaster kann, für den sollte das ein überschaubares Projekt sein.

Was kann ich tun?

Es ist sicherlich nicht falsch, sich bei den beiden zuständigen Bezirkspolitikern zu beschweren. Und sie daran zu erinnern, dass Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung beachtet werden sollten. Und dass Steckdosenleisten nichts mit Geschichte zu tun haben.

Ansonsten sind die für das Thema engagierten AktivistInnen unter dem Dach des Stadteilvereins Schöneberg zu erreichen. Da lohnt es sich, mitzumachen. Für Geschichte statt Vermeidung.