Provinzposse und Steckdosenleiste für Julius Leber

Kohlenhandlung Leber (einer der Entwürfe)
An der Torgauer Straße 24-25 hatte die SPD-Ikone Julius Leber, einer der wichtigsten Protagonisten des sozialdemokratischen Widerstandes gegen das Naziregime, eine Kohlenhandlung. Dort wurde u.a. das Attentat auf Hitler geplant. Die Kohlenhandlung wurde nach Lebers Hinrichtung von seiner Witwe weiter betrieben, zuletzt in einer Baracke,  die heute noch auf dem Gelände gegenüber der Leberstraße steht. Und diese Baracke muss bekanntlich weg: Die Grünverbindung zwischen Cheruskerpark und Südgelände braucht Platz.
„Ein Ort würdigen Gedenkens“ für Julius Leber sollte an dieser Stelle entstehen, so die Beschlusslage der BVV Tempelhof Schöneberg. Was stattdessen passiert, ist die in Tempelhof-Schöneberg übliche Mischung aus Ignoranz, bezirkspolitischer Gutsherrenart und Chaos unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ein Wettbewerb unter weitgehendem Ausschluss der Fachöffentlichkeit. Eine Steckdosenleiste als Wettbewerbsergebnis (wie der TextBauer zutreffend berichtet)  für ein möglichst pflegeleichtes Pseudo-Denkmal. Und einige interessante Details am Rande:
  1. Bloss keine Fachkundigen: Für das Denkmal wurde ein beschränkter Wettbewerb durch das Bezirksamt veranstaltet. Und wer glaubt, da wären Fachleute zu Gange gewesen, irrt: Die Berliner Geschichtswerkstatt, seit Jahren in diesem Bereich aufklärend und forschend tätig, wird zwar eingeladen, hatte aber kein Stimmrecht. Die Gedenkstätte deutscher Widerstand, originärer Ansprechpartner bei einem solchen Anliegen und im Beschluss der BVV ausdrücklich erwähnt, wurde überhaupt nicht beteiligt. Stattdessen stellen zwei Stadträte der CDU sowie ein Mitarbeiter des Stadtplanungsamts das Preisgericht unter Beteiligung des Verbandes bildender Künstler. Wie groß das Interesse der CDU am deutschen Widerstand und Julius Leber ist? Das Ergebnis zeigt es deutlich.
  2. Nur kein Geld: Nicht mehr als 20.000 € durfte es kosten, das Gedenken. Das ist, was im Verfahren zu Recht kritisiert wurde, viel zu wenig für ein angemessenes oder sogar anspruchsvolles Erinnerungszeichen und reichte offenbar noch nicht einmal für eine anspruchsvoll formulierte Ausschreibung. Zudem dürfen keine Folgekosten entstehen. Pflegeleicht soll es sein, das Gedenken.
  3. Nicht mehr interessiert? Man sollte glauben, der SPD läge das Andenken an Julius Leber am Herzen. Stimmte bisher nicht. Die für geschichtlich-kulturelle Fragen in der BVV-Fraktion der SPD zuständige Bezirksverordnete Melanie Kühnemann erklärte zunächst auf Nachfrage, der Vorgang sei „für die SPD gelaufen“. Jetzt aber will man sich zusammen mit den Grünen für eine neue Konzeption einsetzen. Das Wettbewerbsergebnis würde dann nicht mehr zählen. Ob das die beiden zuständigen CDU-Stadträte interessiert, bleibt abzuwarten. Der SPD-Stadtrat Oliver Schworck argumentierte bei seinem Konflikt mit der BVV rund um den Lassen-Park jedenfalls stets, er sei an Aufträge der BVV nicht gebunden. Bis die Bezirksaufsicht ein Machtwort sprach. Vielleicht steuern wir auch in dieser Schöneberger Provinzposse auf einen solchen Konflikt zu.
  4. Die Trittbrettfahrer: Und dann ist da immer noch der Inbegriff des mit Antihaftmittel beschichteten Politikers, MdA Lars Oberg (SPD). Wie schon beim Gasometer, wo er stets engagierte Wortbeiträge lieferte, ohne zuständig zu sein oder gar Einfluss auf seine bezirklichen SPD-Genossen zu nehmen, taucht Oberg gern dann in der Öffentlichkeit auf, wenn er nicht zuständig und/oder schon alles gelaufen ist. Über Twitter hängt er sich an das Flugblatt empörter Anwohner und fordert zur Einmischung auf.
    Einmischung erwünscht? Tweet von Lars Oberg (SPD)

    Was das soll? Warum sich der dynamische Teflonpolitiker Oberg nicht selbst eingemischt hat oder Einfluss auf seine Fraktion nimmt? Diese Frage wird erlaubt sein. Und wer auf solch virales Selbstmarketing antwortet wie ich, bekommt richtig derbe Sprüche zu hören:

Jaja, die üblichen Reflexe. Dabei war mein Beitrag auf Obergs Bitte nicht schwer zu verstehen und sogar kurz:

Lieber Lars: Eher, teurer, sichtbarer, fachkundiger, überhaupt.
Abgesehen von den üblichen Reflexen Schöneberger Politiker bleibt da nur zu wünschen, dass Julius Leber bekommt, was er an dieser Stelle verdient hat: Möglichst bald mit ausreichendem Aufwand ein gut sichtbares Gedenken, das (von Fachleuten bitte!) sorgfältig vor- und aufbereitet wird. Und vor allem überhaupt ein Gedenken. Und keine Steckdosenleiste als bezirkliches Alibi. Noch einmal auf Los, bitte!