Top Pop von der Roots-Rock Röhre Soulsister Shelby Lynne

Dies ist vermutlich das Pop-Album, welches Amy Winehouse hätte machen können, wenn sie 10 Jahre länger im Geschäft geblieben und nicht drogensüchtig so früh gestorben wäre:

Das originelle, authentische und absolut abwechslungsreiche Pop-Album mit mächtig viel Retro- und Soul Faktor, mit dem jeder Hörer glücklich werden kann. Aufgedreht und glitzernd wie im Opener „Your Lies“, dramatisch und soulig wie im 2. Titel „Leavin'“, wo Lynne aus Drumbox, Synstrings und unglaublich souligem Gesang das kleine Pop-Soul Ding macht. Schwerer StampfRockPop im 3. Titel „Life is bad“ – nicht so glatt wie Shania Twain, nicht so schlicht wie Sheryl Crow. Danach bei „Thought It Would Be Easier“ eine flüssig-sahnige TR-808 Drumbox und dezente Jazzakkorde auf der Stratocaster und dazu dieser allumfassend soulige Gesang von Lynne. Ganz tief und weich die Leadstimme wie Marvin Gaye und perfekt hoch und dicht die ebenfalls von Lynne eingesungenen Backings. Das ist ihre Spezialität: Mit ihrem enormen Stimmumfang, dieser gefühlvollen Bruststimme und den sagenhaft präzisen und sanften hohen Lagen. Diese Musikerin ist zugleich ihre beste Backgroundsängerin. Und wie variabel die Lead-Vocals kommen. Es ist ja nicht blödes Namedropping, wenn ich hier diese ganzen musikalischen Einflüsse erwähne. Lynne nimmt mit ihrer geradezu typisch eklektizistischen Art viele Stile auf und heraus kommt immer nur ihre eigene Musik.

Und fast jeder Song hat Hitpotenzial: „Why Can’t You Be“ spielt mit einem wunderbar abgesetzten Refrain und einer witzig eingesetzten Posaune nebst anderen Bläsern im Soul-Rock herum, ohne sich je festzulegen. Und Lynne singt dazu so dreckig, wie das nur eben geht. Das sie Ballade kann, ist mir aus ihren späteren Alben bekannt. Aber wie sie dann „Lookin‘ Up“ nur zur kleinen Combo mit gekonnt eingesetzten Streichern so klagend intoniert wie die Urmutter aller Blues-Women. Dieses Album macht unglaublich Spaß und klingt so erwachsen und authentisch, wie man das von einer trotz junger Jahre erfahrenen Künstlerin bei ihrem 6. Album nach 11 Jahren Plattenkarriere nur erwarten kann. Der leise schunkelnde Rhythmus von „Dreamsome“ kommt mit leiser Hammond so soulig, da fallen einem nur wieder diverse Soulgrößen als Referenz ein. Wüsste ich nicht um blonde Haare und weiße Haut von Lynne, ich hätte Aretha Franklin & Co. vor meinem inneren Auge. Und wie großartig Lynne singen kann, zeigt sie gleich noch mal bei „Where I’m From“. Dieser Song besteht praktisch nur aus großartigen Vocals, einigen Gitarrenakkorden und wieder sehr musikdienlich eingesetzten Streichern. Genug – einfach selber hören. Warum dieses Album nur einen Grammy für „best new Artist“ bekommen hat (was nach 11 Jahren Plattekarriere ein ziemlicher Witz ist)? Egal, einfach hören.