Brian Wilson – Live (Tempodrom)

Brian Wilson tritt vor einem nur zu 1/4 gefüllten Tempodrom auf. Eine riesige Band – 10 Musiker, drei bis vier Gitarren, alle bis auf den Drummer und den Bassisten müssen singen. Musiker und der Mann am Mischpult haben sofort meinen Respekt: Sechstimmiger Gesang, zwei Stunden lang und ohne Noten. Wir reden hier nicht von Tralllala – Brian Wilson schreibt richtig schwierige, eng geführte, himmlisch schöne Gesangssätze. So schwer, dass seine Musik lange Zeit als live unspielbar galt.The Brian Wilson Band (Taylor Mills) Und so verwirrend schön, weil jede Stimme „stark“ geführt ist.  Der Sänger und der Hörer möchten ständig von einer einer Stimme auf die andere – springen, weil jede Stimme harmonisch und melodisch stark klingt und trägt.

Mit schwierigen Satzgesängen oder mit zwei 12-seitigen Gretsch-Gitarren (die natürlich pausenlos verstimmt sind) hat diese Band kein Problem. Nicht umsonst bezeichnet Paul McCartney diese- als die derzeit beste Tour-Band der Welt. Jeff Foskett bringt vom rechten Bühnenrand mit einer sehr straighten Gitarre und einer strahlend schönen Tenorstimme die Band immer wieder unter Kontrolle. Daneben singt mit Taylor Mills eine Frau, die (wie wir bei einer minimalen Solopassage hören können) mit einer wunderbar druckvollen, glatten Stimme „Sex in the voice“ singt wie sonst vielleicht nur Sheryl Crow. Links am Bühnenrand ackern zwei Heldentenöre um die Wette (Darian Sahanaja und Scott Bennett), während der Meister selbst zufrieden in der Mitte thront und seinen leisen, fast britischen Humor bei den Ansagen aufblitzen lässt. Bei mehreren Titeln (und den ganz hohen Solostimmen) lässt er Foskett und Sahanaja die erste Stimme, schließt die Augen und hört manchmal nur zu. Das dies eine überragend gute Band sein würde, war mir schon nach dem wunderbaren Album Live At The Roxy (2002) von Wilson klar.

Der Tagesspiegel wundert sich, wie ein ernster Mann, der erkennbar 67 Lebensjahre mit sich herum trägt, so inbrünstig vom „Surfer Girl“ singen kann. Das hat einen ganz einfachen Grund.

Bach ist tot und Mozart auch. Selbst Brian Wilson fühlt sich schon ganz komisch an.

Der Mann schafft es wie kein anderer, mit fast klassischen Stimmführungen, die an Schönheit und Eleganz kaum zu überbieten sind, jeden Zuhörer in den Bann zu ziehen. Und das ist so viel Handwerk, so viel Komposition wie bei keinem anderen Pop-Komponisten. Lassen wir mal den Meister selbst sprechen (in einem Telefoninterview mit Markus Schneider von der Berliner Zeitung):

Was macht für Sie einen guten Popsong aus?
Die Melodie und die Lyrics sollten kreativ und nett sein, nicht wahr?
Und was macht den perfektn Song aus?
Sowas wie „God only knows“, denke ich.
Aber diese sanfte Süße war doch Absicht?
Die kommt von der höheren Stimmlage.
Eine rein formale Sache?
Genau.

Der Mann ist Komponist – wie vielleicht Joseph Haydn oder J.S. Bach: Ernsthaft, effektsicher, sehr anspruchsvoll. Und natürlich ist „God Only Knows“ der perfekte Popsong, die perfekte Komposition und sehr, sehr anrührend.
Und spätestens nach einer halben Stunde perfekter Popmusik mit sechstimmigem Gesang schmilzt das Publikum dahin. Bei den Zugaben tanzt dann der ganze Saal. Und bei der letzten Zugabe, als die Band sich verschwitzt und entspannt an den Händen fasst, um noch einmal zu singen über Gott und die Musik – da wird mir klar. Für Brian Wilson fügt sich diese schwierige, wirre und verstörende Welt erst in der Musik zusammen. Darum tourt er und komponiert und das ist gut so.